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cyklingkultur

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Was die Schweizer Bundesstadt von Kopenhagen lernen kann

Die Cyklingkultur beschreibt ein einzigartiges, unbeschwertes Velo-Lebensgefühl, das besonders in Kopenhagen zu spüren ist. Die Hauptstadt Dänemarks setzt hohe Massstäbe und will zur weltbesten Stadt überhaupt werden. Auf dem Weg dahin setzt sie aufs Velo und feiert beachtliche Etappensiege, die Bern in der Schweiz ebenfalls feiern möchte. / 22.2.2024

Autor und Hintergrund

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Vorgelesen von Virginia

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Velolicht auf den Text


Es ist dunkel, die Zeiger der Zytglogge in Bern verraten den Einbruch der Mitternacht. Um die Kurve düst ein Velofahrer, doch durch eine Schiene wird er abrupt gestoppt. Er stürzt kopfvoran auf den kalten Asphalt, bam! Nach einer Statistik des Inselspitals sind 10% aller behandelten Velo-Unfälle von 2012 bis 2017 auf Tramschienen zurückzuführen.

Die progressive Metropole im Norden

Kopenhagen, das «UNESCO World Capital of Architecture 2023», ist nicht nur in der Baukunst augenfällig weit fortgeschritten, sondern auch in der Stadt- und Verkehrsplanung. Jährliche Messungen der Stadt, zusammengefasst im Bericht «Cykelregnskab», zeigen auf: 97% der Radfahrenden sind mit den Radfahrbedingungen in der Stadt zufrieden. Schliesslich verfügen sie über ein imposantes Stadtnetz, das seit 2007 auf den Fahrradverkehr ausgelegt ist und 2022 stolze 380 km sowie 23 Fahrrad- und Fussgängerbrücken umfasste. Für die Wege zur Arbeit oder zur Schule bevorzugen 35% der Kopenhagener das Velo. 77% geben an, während der Freizeit mindestens ein paar Mal pro Woche Fahrrad zu fahren.


Ein bedeutender Grund für dieses sorglose Radeln in der 650'000 Einwohner zählenden Stadt, die knapp 4.5-mal grösser als Bern ist, sind die schienenfreien Strassen. Laut «Copenhagen Design News» schuf Kopenhagen das Tram 1972 ab und ersetzte es mit Bussen. 2011 gaben die Parlamentarier dem Velo mit der offiziellen Fahrradstrategie den bedeutenden Anstoss. Kopenhagen ist gemäss des «Copenhagenize Index» mittlerweile gar die beste Fahrradstadt der Welt, mit all ihren Vorzügen. Dies bedeutet eine Stadt mit mehr Platz, weniger Lärm, sauberer Luft, gesünderen Bürgern und einem besseren Stadtleben. Kurzum, eine Stadt mit mehr Lebensqualität, wie «Københavns Kommune» im Bericht «Cykelkort 2018» schreibt. Heute bestätigen 75% der gesamten Bevölkerung, dass sich die Fahrradkultur positiv auf das Stadtleben ausprägt.


Wie konnte die grosse Mehrheit der Bevölkerung so zufriedengestellt werden? Indem sich die Stadt ehrgeizige Ziele steckt und fortlaufend Resultate liefert: Es wurden zwei Arten von Stadtrouten gebaut, eine davon führt an Erholungsbereichen wie Parks, Seen und Hafen vorbei, wie es dem «Cykelkort 2018» hervorgeht. Zudem wurden 15 Superradwege gebaut, eine Art Autobahn für Velos, um angrenzende Gemeinden sicher und flexibel mit der Stadt zu verbinden. Auch die Nähe zur Natur besteht. 15 Minuten vom Zentrum erreicht man den Amager Park, wo man von Wald und Tieren umgeben ist. Stadtteile und somit Menschen wurden mittels Brücken verbunden. Die Brücken wiederum haben laut dem Bericht «Cykelregnskab 2022» einen hohen ästhetischen Wert und dienen zudem als lokale Wahrzeichen. Wer an der Ampel bequem pausieren möchte, kann dies dank Fussstützen lässig tun. Stellplätze für Velos findet man überall, spätestens in eigenen Velo-Parkhäusern mit frei zugänglichen Pumpen. Wer plaudern will, kann dies auf breiten Spuren neben seinen Freunden machen. Dank der Temporeduktion bei Autos ist dies ein mögliches Vorhaben, denn die Anzahl schwerer Verletzungen oder Todesfälle konnte reduziert werden.

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Weniger Autolärm und mehr Sicherheit freut auch Eltern, welche ihre Kinder auf separaten Velowegen in die Schule fahren lassen können. Die Begeisterung am Fahrradfahren ist so hoch, dass die Tour de France 2022 ihren Startschuss in Kopenhagen setzte. Die damalige Route der Profis ist heute öffentlich zugänglich und wird wöchentlich 400-mal gefahren. Diese sowie weitere Fakten sind dem «Cykelregnskab 2022» zu entnehmen. Was die Dänen auch immer antreibt: Ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber Autos, die Möglichkeit auf dem Fahrrad nichts machen zu müssen und den Kopf im Meereswind lüften zu können oder reiner Spass – sie leben das Velo.

Bern, die zukünftige Velohauptstadt

In den 30er Jahren war Bern bereits eine Velostadt, ehe das Auto Einzug nahm. Heute versucht man die Schäden zu reparieren und will dem öffentlichen Verkehr sowie dem Veloverkehr Priorität schenken. Im Jahr 2030 soll der Anteil an Radfahrenden 20% betragen, während es 2015 noch 11% waren. Das ist die Zielsetzung der sehr gut angelaufenen «Velo-Offensive», wie der Berner Verkehrsplaner Mathias Haltner einordnet. Junge Velofahrerinnen und Velofahrer kann die Stadt unter anderem im Tscharnergut-Quartier gewinnen, schreibt sie auf ihrer Webseite. Kinder dürfen gegen ein Depot ein Fahrrad ausleihen. Dabei kommen sie trotz Höhenunterschiede auf ihren Genuss: Bern bietet dank Velohauptrouten und einem Veloring ein umfangreiches Netz, wie der Masterplan Veloinfrastruktur aufzeigt. Auffallend dabei: Dem eigentlichen Berner Schatz, der Aare, wird keine grosse Bedeutung gewidmet.

Von der Velohauptroute Wankdorf zur Aare runter.

Auf die Frage nach Velobrücken in Bern berichtet Haltner von einer Panorama-Brücke, welche die Quartiere Breitenrain und Länggasse verbinden könnte. Das Projekt sei jedoch bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Von weiteren Möglichkeiten war nicht die Rede, beispielsweise ob eigene Brücken für «Gümmeler» und «Aare-Schwümmer» allenfalls zwischen dem Marzili und Eichholz in Betracht gezogen werden können. Diese Philosophie wählt das ASTRA zukünftig im Strassenverkehr, sprich Fuss- und Radwege werden getrennt. Trennungen will man laut Haltner auch beim Tramverkehr vornehmen. Die Velowege sollen hinter der Tramhaltestelle durchführen. Diese praktische Idee ist allerdings schwierig oder selten umsetzbar. Weitere Lösungen braucht es bei den Parkplätzen. Wie Haltner verrät, ist der Abdeckungsgrad von Velos pro Einwohnerin und Einwohner bei 1.0. «Velostation Bern» bietet derzeit erst gegen 3'000 Parkmöglichkeiten am Bahnhof und an der Uni Von Roll. Ein Beispiel von Etappensiegen nennt das Magazin «Hochparterre» mit der Hauptroute zwischen Köniz und Wankdorf. Wer konstant mit 20 km/h radelt, profitiert von der grünen Welle und muss an Ampeln nicht mühsam halten. Weniger zügig unterwegs sind hingegen Projekte im Generellen, wie Haltner aus Erfahrung weiss. Insgesamt betrifft der Ausbau von Velowegen nämlich alle Staatsebenen: Gemeinden, Kantone und Bund. So liegt beispielsweise das Konzept der Veloautobahnen zuerst auf den Tischen des Bundesamtes für Strassen ASTRA.


Im Dschungel an Plänen und Projekten kann sich die Stadt Bern dennoch einige Vorteile verschaffen. Wer die Strassen kennt, kann umsichtig planen. Haltner ist das beste Beispiel dafür, er arbeitet nebenberuflich als Velokurier. Die Architektur-Zeitschrift «Hochparterre» berichtet von der Stadt Zürich, welche ihre Velo-Strategie regelmässig anpasst. Auch die Stadtverwaltung Kopenhagen wählt gemäss den Velo-Mobilitätsberichten diesen Weg, gestützt auf ihren ausführlichen Erfolgsmessungen. Das kann für Bern interessant sein, da gemäss der Verkehrsplanung keine konkreten Ziele nach der «Velo-Offensive» im Jahr 2030 vorliegen. Laufend können so Verbesserungen vorgenommen werden, sodass sich die Menschen sicher fühlen und dennoch alle ihren Raum im Verkehr haben.

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Ein Lebensstil mit positiven Einflüssen

Die Stadt Hamburg schreibt, Radfahren macht ausdauernder, konzentrationsfähiger und kreativer. Des Weiteren sinkt der Stresspegel, was sich wiederum positiv auf das Wohlbefinden auswirkt, wie Forscher der Uni Zürich herausfanden. Fährt man einem Gewässer wie der Aare entlang, kann sich dieses angenehme, den Bernerinnen und Bernern so nahestehende «gmögige» Lebensgefühl unter Umständen sogar steigern.


Haltner sagt, Bern sei eine Tramstadt, aber auch eine Velostadt. Wenn man «den Fünfer und das Weggli» haben möchte, gilt es, die richtige Kombination zu finden, sodass man mindestens beiden Verkehrsarten gerecht wird. Mit dem Einsatz von Bussen anstatt Trams sowie dem Ausbau der Metro, über den «The Metro Copenhagen» auf ihrer Webseite informiert, schuf Kopenhagen eine funktionierende Lösung. Solange Trams und Velos auf derselben Strasse verkehren, bleibt das Hauptproblem bezüglich der Schienen-Unfallgefahr bestehen – die Velofahrenden warten, balancieren oder stürzen. Bereits zweimal testete die Stadt Zürich Gummiprofile, welche direkt in die Tramlinien eingelassen wurden. Basel führte ab dem Jahr 2022 Tests mit der weiterentwickelten Variante durch, so orientieren Medienmitteilungen beider Städte. Wer auch immer den Durchbruch mit einer wirtschaftlichen Lösung schafft, bringt die Sicherheit im städtischen Verkehr auf ein neues Level – so ist es nicht erstaunlich, dass diese Projekte mindestens nationale Aufmerksamkeit, darunter Medien wie «SRF» und «20 Minuten», auf sich ziehen.


Bern schneidet sich bereits heute ein Stück vom detailverliebten Kopenhagen ab und wird dies weiterhin tun, um dem Ziel der glücklichen Velohauptstadt, sprich der Cyklingkultur, bestimmt näher zu kommen. Vielleicht etwas bürokratischer.